Geschichten aus der Loreley
Coburger Rauchbrot – dank billigem Tabak aus Neustadt
Um 1800 kamen die Gäste zum „Herrenbeck“ nicht nur wegen des Essens, Biertrinkens oder Politisierens. Vielmehr wollten sie nach Herzenslust rauchen. Das war damals in den Straßen und Gassen der Stadt streng verboten – nicht aber in den Wirtshäusern. Also rauchte man dort. Allerdings waren die neu aufgekommenen Hamburger Zigarren den biederen Coburgern zu teuer. Und Zigaretten wurden als neumodisches Zeug abgelehnt. Blieb also nur noch das Pfeifenrauchen übrig. Begünstigt wurde dieses Laster dadurch, dass in der Nachbarstadt Neustadt ein billiger Rauchtabak hergestellt wurde. Der stand beim „Herrenbeck“ in Schüsseln und Zinntöpfen auf den Tischen und lud zum Qualmen ein. Dem angemachten Brotteig in der Ecke der Bäcker- und Wirtsstube tat das keinen Abbruch – vielleicht war das vorgeräucherte Brot sogar besonders schmackhaft.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Der Wirt aus Amerika – oder wie die „Loreley“ nach Coburg kam
Georg Frommann übernahm 1852 das Wirtshaus “Herrnbeck“ von seinem Vater Phillip. Der Wirtssohn war in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts wie viele Coburger wegen der politischen Unruhen nach Amerika ausgewandert. Seine Weltgewandtheit und der familieneigene Humor machten ihn bald zum gern gesehenen Wirt, der seine Gäste gut zu unterhalten verstand. So kehrten immer mehr Sänger, Schauspieler und Musiker beim „Herrenbeck“ ein – darunter die beiden Theatermaler Max und Gotthold Brückner, die auch für Richard Wagner in Bayreuth arbeiteten. Den gepflasterten Hausflur, wo das Künstlervolk aus Platzmangel seinen Stammtisch zwischen den Mehlkästen abgestellt hatte, verschönerten die Brückner-Brüder eines Tages mit zwei Gemälden. Sie zeigten den Rhein, den Loreleyfelsen und die schöne Zauberin Loreley. Bald sprachen die Coburger nur noch von der „Lore“ – acht Jahre später wurde das Gasthaus „Herrnbeck“ offiziell in „Loreley“ umbenannt.
Quelle: Ernst Eckerlein erzählt aus der Coburger Heimat, Verlag Coburger Blattla, 1981
Der Fregatten-Stammtisch aus dem Dänenkrieg
Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten sich viele Stammtische in der „Lore“, darunter der „Bismarcktisch“, an dem die Verehrer des Reichskanzlers tagten, oder der „Streichriemen“, der durch allerlei Schabernack in der Stadt von sich reden machte, der Stammtisch der Turngenossenschaft und der „Gefionstammtisch“. Seine Mitglieder saßen an einem Original Kajütentisch von der Fregatte „Gefion“, die im Dänenkrieg 1849 unter Führung des Coburger Herzogs Ernst II erobert worden war. Immer herrschte frohe Stimmung. Aus der Laune heraus entstanden richtige Künstlerabende. Musiker gaben am Tafelklavier Konzertstücke zum Besten oder begleiteten Lehrer Wittmann, der auf seinem Cello wunderbar zu spielen verstand. Die mütterliche Wirtin lieferte preiswert und gut aus ihrem Küchenreich, und die adretten Wirtstöchter „Änne“ und „Settle“ waren bei Fremden und Einheimischen gleichermaßen beliebt. Zu den „Hofabenden“, die gelegentlich veranstaltet wurden, saßen dann auch Gäste aus dem Herzogshaus in der „Lore“.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Der Bierstreik von 1878 – wie die Coburger die Aktienbrauerei besiegten
Unter dem Wirt Heinrich Müller, der die Lore 1875 von seinem Schwiegervater übernahm, florierte die „Lore“ und konnte sich sogar Werbung in auswärtigen Zeitungen leisten. Nur einmal wurden die Biergemütlichkeit und das gute Verhältnis zwischen den Gästen und ihrem lieben „Heiner“ nachhaltig gestört. Als im Jahre 1878 in der „Lore“ der Preis für das „Kärtle“ Bier wegen der Erhöhung der Biersteuer von 10 auf 12 Pfennig stieg, schimpften die Bürger über Bräuer und Steuer gleichermaßen. Die Gäste blieben für einige Wochen dem geliebten Lokal fern, denn in anderen Coburger Wirtshäusern, die noch selbst brauten, kostete das Bier nach wie vor 10 Pfennig. Die Brauerei gab schließlich nach – und der „Musterwirt“ konnte seine Gäste wieder begrüßen und ihnen das beliebte „Aktien“ zu 10 Pfennig einschenken.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Wie der Stammtisch Streichriemen Meister „Aschelang“ mitspielte
Schreinermeister Heinrich Angermüller aus dem Probstgrund wurde in der Lore nur „Aschelang“ genannt und vom Stammtisch „Streichriemen“ gerne auf die Schippe genommen. Anstelle eines Spazierstocks hatte er immer einen Metermaßstab bei sich, den sogenannten „Säuriegel“. Diesen Stock verkürzten seine Stammtischbrüder eines Tages heimlich, so dass alles, was der Schreiner danach anfertigte, zu kurz ausfiel. Als er in der „Lore“ von seinem rätselhaften Missgeschick erzählte, dass eine maßgenau angefertigte Türe zehn Zentimeter zu schmal ausfiel, und auch seine Bestellerin, die „Gnädige Frau Madam“, sich dieses Kuriosum nicht erklären konnte, brach höhnisches Gelächter aus. Zuerst hat sich der Schreinermeister mächtig geärgert, dann aber einige „Kärtla“ Bier „neigedunnert“ und den Streich des „Streichriemens“ verziehen.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Der Roeperts Karl: Baron mit vielen Schulden und noch mehr Humor
Zu den Stammgästen der „Lore“ gehörte Karl Freiherr von Roepert, Gardeleutnant a. D. und Ritter des Eisernen Kreuzes von 1870/71, ein Mann von unermesslichen Schulden, aber voller Humor, Einfälle und Schlagfertigkeit. Der in Coburg geborene „Roeperts Karl“ hatte eine steinreiche Braut und daher überall Kredit. Sein Verhängnis war, dass er als Adjudant während einer Theaterpause aus der Loge einigen Bekannten im unverfälschten Dialekt laut zurief „Ihr Coborgar seid ah do“. Was in einer anderen Loge seine Schwiegermutter in spe hörte und sah – und aus war es mit der reichen Heirat. Der Baron quittierte seinen Dienst und blieb zeitlebens Forstassessor in Herzogs Diensten mit einem Monatsgehalt von 125 Mark, das nie erhöht wurde, weil jede Mark darüber sofort gepfändet worden wäre. Als er älter wurde, schlief er im Lokal oft ein und lehnte seinen Kopf an die Wand – so entstand in der „Lore“ eine Sehenswürdigkeit: der Fettfleck des Barons von Roeper. Als eines Tages mal wieder übers Wetter gesprochen wurde, meinte er zu seinen Stammtischbrüdern: „Die Kelt in Coborg ist gar nix gegen die Kelt anno Siebzig in meim Quartier vor Paris. Vor lauter Kelt kunnt ich net eigeschlof und hob dabei immer a Gazisch gehört. Ich guck unner mei Bett, wos sah ich do? Die Flöh ham in mein Nachttopf Schlittschuh gfahrn.“
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Der Roeperts Karl im Pulverdampf der Schulden
Legendärer Stammgast der „Lore“ war Karl Freiherr von Roepert, Gardeleutnant a. D. und Ritter des Eisernen Kreuzes von 1870/71, ein Mann von großem Humor und noch größeren Schulden. Wie man erzählte, soll Moltke im deutsch-französischen Krieg vor jeder Schlacht gefragt haben: „Ist der Roeperts Karl da?“ Kam dann die Antwort „Ja“, sagte der Feldherr: „Dann kann‘s losgehen!“ Eines Tages erzählten Gäste in der „Lore“, dass sich ein Herr wegen seiner Schulden erschießen wollte. Woran Karl lakonisch bemerkte: „Wenn ich mich wegen meiner Schulden erschießen wollte, käme ich das ganze Jahr nicht aus dem Pulverdampf heraus.“ Ein andermal rechnete er seinen Stammtischfreunden vor, wenn er noch alle seine Schulden bezahlen wollte, müsste er noch 6646 Jahre leben. Ein ebenso verschuldeter Baron sprach ihn eines Tages an: Wenn er nur wüsste, wie er sich unkenntlich machen könnte, damit er auch einmal zum Fastnachtstrubel in der Spitalgasse gehen könnte. Auch dafür wusste Karl Rat: „Du, wir borgen uns beide einen Hundertmarkschein und tragen den in der Hand. Da kennt uns kein Mensch!“
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Knochen für den Großen Genrealstab und Post vom Eisenbahnminister
Heinrich „Heiner“ Müller begründete durch seine Geschäftstätigkeit und durch Anzeigen in großen auswärtigen Zeitungen den legendären Ruf der „Lore“. Sie wurde zum Treffpunkt aller Fremden, die nach Coburg kamen. Als 1894 der Große Genrealstab durch Thüringen kam, meldete er sich in der „Lore“ an und hielt dann eine gewichtige Sitzung bei kühlem Bier und großen „Salzknochen“ auf Tischen und Bänken vor dem Gasthaus. Eisenbahnminister Lutzius, der gerne Coburg besuchte, meldete seine Ankunft stets vorher per Postkarte an die „Lore“ an: „Bierkrüge zurecht machen und Knochen mit Kraut“!
Quelle: Ernst Eckerlein erzählt aus der Coburger Heimat, Verlag Coburger Blattla, 1981
Der große Schlag und die fliegende Perücke
Heimat- und Vaterlandsliebe fanden in der „Lore“ eine besondere Pflegestätte. Nationale Festtage wurden hier zu Feiertagen. Besonders hob sich hier der 1. September hervor, der „Tag des großen Schlags“. An diesem Tag war bei Doncherie im Krieg von 1870 eine Brücke in die Luft gesprengt worden, nachdem sie „unsere 95er“ kurz vorher passiert hatten. Die Feldzugskameraden versammelten sich daher stets an diesem Tag in der „Lore“ und ließen die Erinnerung an die große Vergangenheit aufleben. Höhepunkt der Feier war die Explosion eines Dutzends „Frösche“ in einer Gießkanne. Diese flog zur Gaudi der Gäste oft bis zur Höhe des ersten Stockwerks. Leider artete der große Schlag allmählich aus. Die Sprengladung wurde immer größer und anstelle des Gießers benutzte die Jugend Tischkästen und anderes Mobiliar, so dass nach der Explosion die Wirtsstube oft mit Trümmern übersäht war. Als dann einem alten Stammgast die Perücke davon flog, war der Gipfel des Erträglichen erreicht, und der „große Schlag“ wurde verboten.
Quelle: Ernst Eckerlein erzählt aus der Coburger Heimat, Verlag Coburger Blattla, 1981
Burschen im Gänsemarsch und eine Maß für Prinz Albert
Ab 1870 tagten regelmäßig die Landsmannschaften in der „Lore“. Zu Pfingsten sah das Haus jedes Jahr ein farbenfrohes Leben und Treiben der Buntbemützten, die dort manchen Streich ausheckten. So machten sie sich eines Morgens nach durchzechter Nacht im Gänsemarsch auf zum Markt und probierten auf dem Brunnenrand, wie stabil ihr Gleichgewicht noch ist. Dabei nahm mancher ein unfreiwilliges Bad. Ein Musensohn wollte in allumfassender Liebe den Löwen auf der Brunnensäule ans Herz drücken. Der aber erwachte aus seiner steinernen Ruhe und stürzte samt seinem Verehrer in die Fluten. Mit Vorliebe uniformierten die Studenten Coburger Straßenbuben und ließen sie, ausgerüstet mit Helm, Brustschild und Kürassiersäbel, als Leibwache vor der „Lore“ auf und ab patrouillieren. Zum Ärger der Polizei fuhren sie eines Tags das Mistfuhrwerk eines Bauern kreuz und quer durch die Stadt; die Spur des Wagens war noch nach Stunden zu sehen und zu riechen. Gerne aber sahen es die Bürger der akademischen Jugend nach, wenn sie auf vollbesetzten Bierwagen Lieder singend durch die engen Gassen zogen. Verwundert schaute eines Morgens auch Prinz Albert von seinem Denkmal, als er mit Zylinderhut und Maßkrug seinen alten Markt begrüßen musste. Mit Blick zur Loreley wird er sich wohl gefragt haben: „Ich weiß nicht was soll es bedeuten…“
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Die Neidhöhle in der „Lore“: Nibelungengruft und Künstlerkneipe
1907 gründeten Sänger, Schauspieler, Maler und Mäzene in Verehrung für Richard Wagner, der durch seine Kontakte zu den Theatermaler-Brüdern Brücker auch in Beziehung zu Coburg stand, in der „Loreley“ den Stammtisch „Neidhöhle“. Man bediente sich Wagnerscher Ausdrucksweise und der Trinkspruch lautete: „Neid!“. Durch Spenden und ein Benefizkonzert der Solisten des Hoftheaters war ein Gründungsfonds für den Raum geschaffen worden. Er wurde, ähnlich wie die „Eule“ in Bayreuth, zu einer weithin bekannten Künstlerkneipe. Der Raum glich durch Bemalung und Dekoration einer richtigen Felsenhöhle, die durch Attribute der Nibelungen geschmückt wurde. In Coburg gastierende Künstler, die auf Einladung der Herzöge gerne in die Vestestadt kamen, verlebten in der „Neidhöhle“ unvergessliche Stunden, verewigten sich dort durch ihre Portraits, und trugen den Ruf der „Loreley“ in alle Welt. 1908 fanden auch die Meininger Künstler eine Heimstätte im Coburger Theater und einen Stammtisch in der „Lore“. Als 1918 vom Herzog ein großes Straußfest vorbereitet wurde, ging er regelmäßig mit seinen Künstlern nach harter Probenarbeit hinüber zur „Loreley“ zum Frühschoppen.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)
Die „Anna“ – eine Wohltäterin „Halt dei Guschn“
Als der Erste Weltkrieg ausbrauch, zogen viele Stammgäste der „Loreley“ ins Feld. Nur die Alten trafen sich bei dem immer dünner werdenden Dämmerschoppen, besprachen den Ernst der Lage und freuten sich, wenn durch Feldpost Grüße in die „Lore“ kamen. Tief war die Trauer, wenn die Nachricht vom Tode eines Gastes eintraf. Immer größer und schmerzlicher wurden die Lücken und die Zahl derer, die nicht wiederkehren sollten. Als alter Artillerist war auch Wirt Karl Rößler ins Feld gezogen, seine Frau Anna hielt die „Lore“ mit bewundernswerter Energie über Wasser und schaffte es in den Jahren der Brot- und Fleisch-Zuteilungskarten immer wieder, den Gästen etwas Genießbares aufzutischen. Kam ein Front-Urlauber in die „Lore“ ließ sie ihm ihre besondere Fürsorge angedeihen. Auch der Not im unteren Städtchen half sie oft und gerne ab. Wollte man ihr danken, dann erwiderte sie barsch: „Halt dei Guschn, mach dass de weiter kümmst!“ Groß blieb daher die Verbundenheit zur „Lore“. Das zeigte sich, als der Krieg zu Ende war: Schnell wurde die „Lore“ wieder zum gut gehenden Schanklokal mit dem größten Bierumsatz aller Coburger Wirtschaften. Zum 25jährigen Wirtsleute-Jubiläum spielte die Stadtkapelle, widmeten viele Gäste Lieder und Gedichte der „Lore“ und „unner Anna“. Selbst aus Italien, England und Amerika trafen Glückwunsch-Telegramme ein.
Quelle: Louis Walter, Aus der Geschichte der Coburger Loreley, A. Roßteutscher, Buch und Steindruckerei Coburg (um 1920)